Dolmetschen:

Qualifizierte Sprachmittlung im Gesundheitswesen – wann kommt das Gesetz?

Bild: grivina – AdobeStock 

Nach dem Willen der Bundesregierung soll „Sprachmittlung [...] im Kontext notwendiger medizinischer Behandlung Bestandteil des SGB V“ werden – so steht es zumindest im Koalitionsvertrag. Ein wichtiges Vorhaben, das bereits seit mehr als einem Jahrzehnt auch von Ärzten, Psychotherapeuten und deren Standesvertretungen gefordert wird, wie vor kurzem erst wieder vom Deutschen Ärztetag. Doch das Gesetz, das den Weg für eine Kassenabrechnung der Kosten frei machen würde, lässt auf sich warten, und viele Punkte sind entsprechend noch offen. Wie sollte, im Sinne der Patienten und deren Sicherheit, eine solche Sprachmittlung aussehen? Welche Qualifikationen müssen die damit betrauten Personen mitbringen, wo bzw. wie können diese erworben werden? Fragen an Elvira Iannone, Politische Geschäftsführerin des BDÜ.

 

Frau Iannone, der BDÜ positioniert sich in einer Reihe von Postitionspapieren und Stellungnahmen zum Thema. In Verbindung mit seinen Forderungen zum Gesetzgebungsverfahren der Bundesregierung zur Integration Nicht-Deutschsprachiger in das deutsche Gesundheitssystem aus dem Jahr 2023 skizziert der Verband in ausführlichen FAQ ein Modell für qualifizierte Sprachmittlung im Gesundheitswesen. Was beinhaltet dieses Modell?

Iannone: Das Modell setzt schwerpunktmäßig darauf, dass zum einen die für das Dolmetschen im Gesundheitswesen zwingend erforderlichen einheitlichen Qualitätskriterien und -anforderungen festgelegt werden. Zum anderen thematisieren wir die Schaffung einer Infrastruktur, um geeignete Personen entsprechend zu qualifizieren und deren Leistungen überall dort verfügbar zu machen, wo sie gebraucht werden – von der Arztpraxis bis zur Klinik, vom Beratungsgespräch bis zur Therapie von Trauma-Patienten. Im Mittelpunkt steht für uns dabei insbesondere die Forderung, dass Gespräche mit Experten – und das sind alle Verantwortlichen im medizinischen Bereich, auch Pflegekräfte – auch von Experten gedolmetscht werden müssen. Denn es geht dabei immer um die Gesundheit bzw. im Zweifelsfall das Leben von Menschen.

Wie sieht die derzeitige Praxis der Sprachmittlung im Gesundheitswesen aus?

Patienten, die (noch) nicht oder nicht mehr ausreichend Deutsch sprechen, gehören in Praxen und Kliniken in Deutschland schon lange zum Alltag. Mit etwas Glück findet sich im medizinischen Personal der Praxis oder Klinik manchmal eine Person mit entsprechenden Sprachkenntnissen. Manchmal behilft man sich – mehr oder weniger gut – mit Englisch, wobei von einer fachlich fundierten, empathischen und rechtssicheren Sprachkompetenz in den allermeisten Fällen jedoch nicht die Rede sein kann. Ansonsten sind es häufig Familienangehörige – nicht selten auch Kinder – oder andere Laien, die das Gespräch mit Arzt, Logopäde, Therapeut, Hebamme etc. dolmetschen (müssen). Dies ist in vielerlei Hinsicht als problematisch zu sehen: Zum einen sind Laien schnell persönlich involviert, dolmetschen nicht alles – oder auch bewusst verzerrt, um die betroffene Person vielleicht zu schonen. Zum anderen kommt es zu Fehlern, weil Laien oft selbst nicht alles, was von fachlicher Seite gesagt wird, richtig verstehen bzw. es nicht ganz korrekt und vollständig in der anderen Sprache ausdrücken können. Und auch kulturelle Aspekte spielen eine Rolle – in beide Richtungen: Denn nicht nur der Umgang mit Erkrankungen oder – körperlichen wie psychischen – Verletzungen und die Art, wie man über sie spricht, sind wichtig bei der Übertragung der Kommunikation – auch eine möglicherweise andere medizinische Herangehensweise und andere institutionelle Abläufe in Deutschland wirken sich auf die Kommunikation von Sachverhalten aus.

All dies macht es erforderlich, dass die dolmetschenden Personen sowohl sprachlich, thematisch, kulturell als auch als Dolmetscher qualifiziert sind, um die entsprechende Brücke zu schlagen. Gelingt das nicht, kann dies vielfältige Konsequenzen für die Patienten und ihre Versorgung haben.

Welche Konsequenzen aus fehlender Sprachmittlung sind dokumentiert?

Dies fängt damit an, dass Studien zufolge durch das Fehlen qualifizierter Sprachmittlung Vorsorge-Angebote deutlich seltener wahrgenommen werden. Weitere Konsequenzen reichen von Fehl- und Mehrfachbehandlungen oder sogar Abbruch von Behandlungen über falsche bzw. keine Medikamenteneinnahme oder unnötig langer Behandlungsdauer bis hin zu – im schlimmsten Fall – schwerwiegenden Folgeschäden.

Und zu den Ängsten und der Überforderung mit den medizinischen Sachverhalten auf Seiten der Patienten kommt es auf Seiten der medizinischen Fachkräfte nicht selten zu Frust und Ohnmachtsgefühlen, wenn sie keinen bzw. keinen ausreichenden Zugang zu ihren Patienten erhalten und ihre Arbeit nicht bzw.nicht zufriedenstellend erledigen können. Nicht zuletzt geht es hier auch um die Verantwortung, die Vertreter der Gesundheitsberufe im Sinne der Aufklärungspflichten nach § 630e BGB für das Patientengespräch tragen, mit allen entsprechenden Konsequenzen, im schlimmsten Fall Haftungsansprüchen.

Wie wir aus verschiedenen wissenschaftlichen Studien, auch aus anderen Ländern wissen, ist eine Folge des Nichtverstandenwerdens im niedergelassenen Bereich übrigens auch eine Überbelastung der Notaufnahmen – und zwar aus mehreren Gründen: Wer keine Präventionsangebote wahrnimmt und nicht in guter hausärztlicher Versorgung ist, wird häufiger zum Notfall. Wer weiß, dass im hausärztlichen Bereich die Kommunikation aufgrund von Sprachbarrieren nicht funktioniert, geht eben ins Krankenhaus, weil die Wahrscheinlichkeit steigt, dort verstanden zu werden.

Ergo: Der Einsatz qualifizierter Sprachmittler in allen Sektoren stellt den Zugang zur gleichgestellten medizinischen Versorgung unabhängig von der Sprachbeherrschung her und sorgt für die kommunikative Basis, die elementar für den Vertrauensaufbau in der asymmetrischen Arzt-Patienten-Beziehung und damit wesentliche Grundlage für alle Heilbehandlungen ist. Wichtig ist die Betonung von "qualifiziert", denn eins der großen Probleme ist nun einmal, dass die Berufsbezeichnungen Dolmetscher bzw. Übersetzer in Deutschland nicht geschützt sind. Somit kann jede und jeder von sich selbst behaupten, diese Tätigkeiten „gut“ auszuführen. Hier braucht es klar nachvollziehbare Kriterien.

Was genau ist erforderlich, um eine solche qualifizierte Sprachmittlung zu leisten?

Sprachmittlung im medizinischen Bereich gehört zu den herausforderndsten Aufgaben im Bereich des Dolmetschens. Da ist auf der einen Seite ein qualitätsorientiertes Gesundheitswesen, in dem Normen zur Qualitätssicherung von Medizinprodukten, -geräten und Prozessen, staatlich anerkannte Prüfungen für alle Gesundheitsberufe, Leitlinien von Fachgesellschaften sowie rechtliche Rahmenbedingungen zum Schutz der Patienten gelten; also Standards zur Absicherung.

Auf der anderen Seite steht der Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen und auch Ängsten, der zudem noch auf eine weitere fremde Person angewiesen ist, um die anderen überhaupt zu verstehen. Dolmetscher bewegen sich in diesen Situationen regelmäßig auf einem sehr schmalen Grat: Es gilt, fachsprachlich exakt zu dolmetschen und gleichzeitig so, dass es von der Patientin bzw. dem Patienten vollumfänglich verstanden wird – auf der individuellen Sprachebene, aber auch im Hinblick auf (Fach-)Ausdrücke, für die es vielleicht keine wörtliche Entsprechung in der jeweils anderen Sprache gibt. Neben dem entsprechenden Hintergrundwissen ist Fingerspitzengefühl erforderlich, um angemessen mit schambehafteten und tabuisierten Themen umzugehen. Nicht weniger herausfordernd ist es für die Dolmetscher, in allen Momenten die erforderliche professionelle Distanz zu wahren, wenn man aufgrund der gemeinsamen Sprache der einzige Ankerpunkt für Patienten und Angehörige ist. Wichtig ist auch, die Grenzen der eigenen Belastbarkeit zu sehen und Strategien an der Hand zu haben, um besonders belastende Gespräche nicht zum eigenen Problem werden zu lassen.

Sie sprechen zum einen von Sprachmittlung, zum anderen von Dolmetschen. Im öffentlichen Diskurs wiederum taucht häufig die Forderung nach "Sprach- und Kulturmittlung" auf, der eine über das Dolmetschen hinausgehende Leistung zugeschrieben wird. Wo liegen die Unterschiede?

Vereinfacht gesagt bezeichnet Dolmetschen das mündliche, Übersetzen das schriftliche Übertragen eines Textes von einer Sprache in eine andere. Aus Sicht der einschlägigen Disziplin, der Translationswissenschaft, ist der Überbegriff dafür Sprachmittlung, das Fremdwort für letzteres Translation. Hier schließt Sprachmittlung also auch das (schrifliche) Übersetzen mit ein, und so wird der Terminus auch bei Gerichten und Behörden wie dem BAMF verwendet.

Als Interkulturelle Kommunikation als Forschungsthema vor ein paar Jahrzehnten „entdeckt“ wurde, schlich sich dort zur Abgrenzung von (professionellem) Dolmetschen der Begriff Sprachmittlung für nicht Ausgebildete ein. Und damit fing die Verwirrung an. Bei der Bezeichnung "Sprach- und Kulturmittler" handelt es sich wiederum um eine Benennung, die aus dem ehrenamtlichen Laiendolmetschen stammt, wie es sich im Zuge der vergangenen zwei Jahrzehnte zunehmend auch strukturell verbreitet hat.

In der Betonung, dass „Sprach- und Kulturmittlung“ höherwertiger/anspruchsvoller/besser als Dolmetschen sei, weil dabei nicht nur Wörter übertragen, sondern eben auch Kultur vermittelt würde, spiegelt sich entsprechend ein äußerst laienhaftes Verständnis von Sprache: Nämlich dass es für jedes Wort in einer Sprache auch ein Äquivalent in jeder (oder zumindest fast allen) Sprachen gebe und dass beim Übersetzen und Dometschen also nur Worte ausgegetauscht würden; die Kultur sei ein Extra und müsse quasi als "mehr" "obendrauf" kommen. Doch so ist das einfach nicht. Jede Äußerung in jeder Sprache ist kulturell eingebettet. Bei jeder Übertragung von Inhalten einer Sprache schwingt immer auch das Wissen um die Kultur mit, denn Sprache ist letzlich das Spiegelbild der Wirklichkeit mit all ihren Facetten. Die Berücksichtigung der kulturellen Unterschiede gehört von vorneherein untrennbar zum qualifizierten Dolmetschen und Übersetzen, wie es in den Ausbildungsgängen der Hochschulen gelehrt wird. Es gibt keine Sprachkompetenz ohne Kulturkompetenz.

Tatsächlich steckt sogar noch viel mehr im qualifizierten Dolmetschen und Übersetzen: Denn Ziel des Dolmetschens und Übersetzens ist immer eine gelingende Kommunikation. Und damit Kommunikation gelingt, ist eine Vielzahl weiterer Aspekte zu berücksichtigen: beispielsweise die Kommunikationsziele der Gesprächsparteien oder die Berücksichtigung von Textsorten-Konventionen. Um dies gut und situationsangemessen und unter Berücksichtigung unserer Berufsethik umzusetzen, braucht man Techniken und Strategien, systematisch erworbenes Wissen und Fertigkeitenkein Bauchgefühl.

Stichwort Berufsethik – was genau gehört dazu?

Für berufsethische Prinzipien gibt es unterschiedliche Kategorien und Benennungen. Kurz auf den Punkt gebracht geht es um die Genauigkeit der Verdolmetschung (bzw. Übersetzung), um Neutralität – wir sprechen eher von Allparteilichkeit – und Transparenz, sodass alle im Raum befindlichen Personen jederzeit alles verstehen, was gerade passiert oder gesagt wird. Darüber hinaus ist Verschwiegenheit ein hohes berufsethisches Prinzip, das als solches weit über die übliche gesetzliche oder vertraglich vereinbarte Schweigepflicht hinausgeht. Dies ist vor allem auch bei schambehafteten oder tabuisierten Gesprächsinhalten wichtig, ganz besonders auch innerhalb kleinerer Sprachgemeinschaften an einem Ort.

Gerade beim Dolmetschen im Gesundheitswesen, wo die Gespräche für die Patienten in der Regel grundsätzlich einen gewissen Stresspegel erzeugen, wo häufig Ängste und viele Emotionen im Spiel sind, müssen sich alle darauf verlassen können, dass die Dolmetscher ein klares Rollenverständnis haben. Beim Dolmetscher ist es Aufgabe, alle für eine gelingende Verständigung erforderlichen Inhalte entsprechend der jeweiligen Kommunikationssituation zu übertragen – vollständig und empathisch, neutral und transparent. Es ist nicht ihre Aufgabe, Einschätzungen oder Wertungen vorzunehmen, Empfehlungen auszusprechen, Patienten zu etwas "zu bewegen" oder für sie Partei zu ergreifen oder gar zu entscheiden.

Hier liegt das Missverständnis hinsichtlich des "mehr", das Sprach- und Kulturmittler aus landläufiger bzw. laienhafter Sicht leisten. Dieses "mehr", das insbesondere bei ehrenamtlich und im Laienbereich Tätigen – seien es Integrationslotsen, Gruppierungen wie Stadtteileltern, MiMis (Migranten für Migranten) oder eben auch nur rudimentär geschulte Kräfte in ehrenamtlichen Dolmetschpools – als Vorstellung vorherrscht, ist für das Dolmetschen im Gesundheitswesen das falsche Rollenverständnis. Es führt zu einer eigenständigen Vermittlung von Informationen durch Nichtexperten, und das kann zu einem ernsthaften Risiko für die Patienten werden. Um es klar zu sagen: Patientensicherheit ist kein Hobby, sondern braucht qualifizierte Akteure. Die Kommunikation von Experten kann nicht von Laien gedolmetscht (oder übersetzt) werden.

Welche Voraussetzungen sollen also Dolmetscher im Gesundheitswesen erfüllen?

Diese Frage könnte ich ganz kurz beantworten: Dieselben wie für Gebärdensprachdolmetscher im Gesundheitswesen. Seit mehr als 10 Jahren gibt es für Taube und Schwerhörige Menschen diesen Rechtsanspruch, entsprechend ist für das Gebärdensprachdolmetschen bereits alles reguliert und etabliert: Voraussetzungen, Zulassungsprozess, GKV-Verträge, Bestellung und Abrechnung. Und es funktioniert sehr gut.

Wir halten nichts davon, das Rad noch einmal neu zu erfinden – Stichwort Bürokratieabbau. Mit niedrigeren Standards zu arbeiten kommt für uns allein berufsethisch nicht infrage, schon gar nicht bei den hohen Qualitätsanforderungen an alle anderen Akteure. Für das Übersetzen und Dolmetschen hatten wir das auch schon einmal, nämlich in der Justiz: Justiz ist Ländersache, und jedes Bundesland hat für das Übersetzen und Dolmetschen eigene Gesetze mit darin definierten Voraussetzungen an die Qualifikation. Diese Voraussetzungen waren vor Jahrzehnten überall sehr niedrig bis nicht vorhanden. Im Laufe der Zeit haben einzelne Bundesländer zu unterschiedlichen Zeitpunkten an den Voraussetzungen herumgebastelt, mal nur Kleinigkeiten ergänzt, mal massivere Vorausssetzungen eingezogen. Doch das Ergebnis blieb unbefriedigend. Erst seit letztem Jahr ist ein einheitliches Bundesgesetz in Kraft, das Gerichtsdolmetschergesetz (GDolmG). Es definiert nun bundesweit einheitlich die nachzuweisenden Qualifikationen für die allgemeine Beeidigung zur Arbeit bei Gericht – vergleichbar mit denen für das Gebärdensprachdolmetschen, auch im Gesundheitswesen.

... und wo gibt es die Möglichkeit, eine Qualifikation nach solchen Standards zu erreichen?

Auch das gehört leider zur Wahrheit: In Deutschland gibt es bislang keine einheitliche oder gar flächendeckende Dolmetschausbildung, und die vorhandenen Angebote der Universitäten decken nur einige wenige Sprachen ab - als höchster Abschluss ist ein dolmetschbezogenes Studium der Translationswissenschaft zu betrachten (Universitäten Mainz/Germersheim, Heidelberg, Leipzig, TU Köln, SDI München). Daneben gibt es die Staatliche Prüfung für Dolmetschen (und Übersetzen), die einen grundlegenden Nachweis über die für die Berufe erforderlichen Kompetenzen darstellt. Bereits heute ist eine solche Prüfung die Voraussetzung für Gebärdensprachdolmetscher, wenn sie von der öffentlichen Hand bezahlt werden. Der Nachweis einer Staatlichen bzw. staatlich anerkannten Prüfung liegt auch dem Gerichtsdolmetschergesetz (GDolmG) zugrunde.

Qualifizierte Dolmetscher, die ihre Befähigung über eine Hochschulausbildung oder eine staatliche Prüfung nachgewiesen haben, bringen grundsätzlich alle für professionelles Dolmetschen relevanten Kompetenzen mit, angefangen bei Dolmetschstrategien und -Techniken für die unterschiedlichen Settings, in denen gedolmetscht wird, über die berufsethischen Prinzipien bis hin zu betriebswirtschaftlichen Kenntnissen für eine existenzsichernde Ausübung einer solchen Tätigkeit, die meist freiberuflich erfolgt. Absolventen einer einschlägigen Ausbildung haben auch gelernt, sich in unterschiedliche Fachgebiete einzuarbeiten, also sich das notwendige institutionelle, fachliche und fachsprachliche Hintergrundwissen anzueignen.

Zwar gibt es inzwischen auch in verschiedenster Trägerschaft eine Fülle lokaler oder regionaler Projekte, die nach eigener Aussage Qualifizierungen für das Dolmetschen speziell im Gesundheitswesen und im Gemeinwesen anbieten. Bei näherer Betrachtung sind diese jedoch in der Regel eher Sensibilisierungen für die Aufgabe von Dolmetschern im Umfang von wenigen Stunden bis wenigen Tagen; in den seltensten Fällen eine wirkliche Qualifizierung, auch wenn im Anschluss irreführend von „Zertifizierung“ oder „zertifiziert“ gesprochen wird. In der Regel fehlt es diesen Angeboten insbesondere an Prüfungen und qualifzierten Lehrpersonen.

Nur der Abschluss eines translationswissenschaftlichen Studiums mit Dolmetsch- bzw. Übersetzungsprüfungen bzw. der Staatlichen Prüfung für Dolmetscher/Übersetzer/Gebärdensprachdolmetscher bieten also die Sicherheit, dass eine Person für das professionelle Dolmetschen und Übersetzen ausreichend qualifiziert ist.

Was muss geschehen, um eine solche verlässliche einheitliche Qualifizierung für die anspruchsvollen Aufgaben des Dolmetschens im Gesundheitswesen zu schaffen?

In allen Bundesländern sollten Staatliche Prüfungen für Dolmetscher angeboten werden, in einem breiteren fachlichen und sprachlichen Spektrum, als das bisher der Fall ist, und auch wenn Bildung Ländersache ist, nach einer bundesweiten Muster-Prüfungsordnung. Nur so kann sichergestellt werden, dass bundesweit einheitliche Standards gelten und eine Staatliche Prüfung, die in einem Bundesland abgelegt wird, auch in einem anderen Bundesland anerkannt wird. Hier sind wir hoffnungsvoll, dass sich durch die geänderten Anforderungen für eine allgemeine Beeidigung nach dem GDolmG etwas bewegt.

Auch sollten die Dolmetsch- und die Übersetzungsprüfung entkoppelt angeboten werden, wie dies an den einschlägigen Universitäten bereits seit Jahrzehnten der Fall ist. Es ist nicht nachvollziehbar, warum für das Ablegen einer Dolmetschprüfung eine bestandene Übersetzungsprüfung Voraussetzung sein soll, wenn es sich um so unterschiedliche Kompetenzen handelt. Und selbstverständlich muss auch für ein qualitätsgesichertes Ausbildungsangebot gesorgt werden, da es außerhalb eines ordentlichen Hochschulstudiums keinerlei Vorbereitungskurse auf die Staatliche Dolmetsch- bzw. Übersetzungsprüfung gibt. Und mit Blick auf den bereits jetzt großen und weiter wachsenden Bedarf muss dies schnell geschehen, da solche Aus- und Weiterbildungen Zeit brauchen.

Zur fortlaufenden Qualitätssicherung sollte zudem – analog zu den Heilberufen und den Gebärdensprachdolmetschern – generell die Zulassung als Dolmetscher im Gesundheitswesen an den Nachweis kontinuierlicher Fortbildung geknüpft werden.

Sie sprechen den bereits jetzt großen Bedarf an. Wie kann sichergestellt werden, dass ausreichend Personen diesen Weg zur Qualifizierung für das Dolmetschen im Gesundheitswesen gehen – und dann auch langfristig in diesem Beruf bleiben?

Wie überall tragen viele unterschiedliche Faktoren dazu bei, ob eine Person in ihrem Beruf arbeitet oder die Branche wechselt. Für einen Berufsstand lassen sich diese Faktoren näher eingrenzen: Einkommensmöglichkeit und Arbeitsbedingungen sind zentral. Daher muss für eine auskömmliche Vergütung und praktikable Auftragsgestaltung gesorgt werden. Hier liegt deutlicher Handlungsbedarf: Die Stundensätze, wie sie im Gemeinwesen oder auch schon jetzt in vielen Kliniken üblich sind, sind deutlich zu niedrig, denn sie bieten keine Perspektive – weder im Hinblick auf Aus- und Weiterbildung, meist nicht einmal für eine existenzsichernde Tätigkeit als Selbstständige und damit auch auf den Verbleib im Beruf. Als Modell für eine markt- und leistungsgerechte Vergütung könnte das Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) herangezogen werden. Damit existiert bereits ein auf marktüblichen Honoraren basierender „Gebührenkatalog“ für Dolmetsch- und Übersetzungsdienstleistungen in der Justiz, der neben den eigentlichen Tarifen auch Feiertags-/Nachtzuschläge und Regelungen für den Umgang mit Anfahrt, Terminabsagen und sonstigen Spesen enthält – siehe § 8 JVEG. Dieses Gesetz ist – mit Ausnahme seines umstrittenen § 14 zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen – so lückenlos und unstreitig, dass auch andere Gesetze darauf verweisen – so etwa die Kommunikationshilfeverordnung, nach der bereits seit Jahren Gebärdensprachdolmetscher vergütet werden, auch im Gesundheitswesen.

Nicht vergessen werden sollte auch, dass bei so herausfordernden Aufgaben wie dem Dolmetschen im Gesundheitswesen Angebote zur Stärkung der persönlichen Resilienz wie Inter- und Supervision vorhanden sein sollten, damit Dolmetscher lange und mit Engagement in ihrem Beruf bleiben können.

Welchen Beitrag können digitale Hilfsmittel, wie sie im Koalitionsvertrag auch angeführt werden, leisten?

Angebote wie Video- oder Telefondolmetschen können sicherlich von Fall zu Fall eine sinnvolle Ergänzung sein, haben jedoch sehr deutliche Grenzen. Dolmetscher und auch Ärzte müssen speziell für die Anwendungen geschult sein. In jedem Fall muss sichergestellt sein, dass die für den Zweck erforderliche Technik störungsfrei funktioniert – grundsätzlich für eine vollständige übertragung der Inhalte, aber nicht zuletzt auch, um gesundheitliche Beeinträchtigungen der Dolmetscher zu verhindern. Abgesehen von der erhöhten Konzentrationsleistung, die Dolmetschen mit dem reduzierten akustischen und optischen mit sich bringt, birgt schlecht funktionierende Technik auch Gesundheitsrisiken für die Dolmetscher, bis hin zu gravierenden und dauerhaften Schädigungen des Gehörs. Eine umfassende Betrachtung mit entsprechenden Regelungen ist deshalb wichtig.

Kommen wir noch einmal zurück zur Eingangsfrage: Im Koalitionsvertrag ist das Vorhaben verankert, aber es liegt bisher weder ein Referenten- geschweige denn ein Gesetzesentwurf vor. Wie sehen Sie die Chancen für eine Umsetzung des Versprechens aus dem Koalitionsvertrag?

Ein Entwurf müsste tatsächlich jetzt zeitnah erscheinen, um alle noch offenen Fragen angemessen diskutieren zu können. Als im Frühjahr der Referentenentwurf zum Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (GVSG) veröffentlicht wurde, hatten wir die Hoffnung, dass nun bald Bewegung in die Sache kommt, da sich mit den ursprünglich dort vorgeschlagenen kommunalen Gesundheitskiosken ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung andeutete. Doch kurz darauf wurden diese aus finanziellen Gründen wieder gestrichen. Die letzte Chance hierzu ist das Parlamentarische Verfahren.

Jetzt wird umso spannender, was der nun endlich von der Koalition verabschiedene Haushalt für das Jahr 2025 beinhaltet. Wir hoffen sehr, dass das Vesprechen zur Finanzierung des Dolmetschens im Gesundheitswesen sich dort niederschlägt. Denn letztlich stärkt die Verankerung eines Rechtsanspruchs auf den Zugang zu qualifizierter Dolmetschleistung in SGB V nicht nur einzelne Menschen, die so sicheren Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten. Vielmehr sind solche strukturellen Maßnahmen wie in anderen Einwanderungsländern auch ein Pull-Faktor für qualifizierte Migranten. Somit würde auch die Attraktivität des Standortes Deutschland im Wettbewerb mit anderen Ländern hinsichtlich der systematischen Anwerbung von Arbeits- und Fachkräften aus dem Ausland gesteigert.

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