Dolmetschen im Gesundheitswesen:

Behandlung nur mit Deutschkenntnissen? Warum das nachvollziehbar ist – und warum die Politik hier am Zug ist

Bild: hako – AdobeStock 

Die Wogen branden gerade hoch in diversen Medien und Kanälen: Da lehnt eine Kinderarztpraxis die Behandlung – außer in Notfällen – ab, wenn „eine Kommunikation aufgrund fehlender deutscher Sprachkenntnisse nicht möglich […] und auch kein Dolmetscher persönlich anwesend“ ist. Das Spektrum der Reaktionen reicht von „Geht gar nicht“ über „Armes Deutschland“ bis hin zu „Alltagsrassismus“, aber auch Verständnis ist dabei. Die Thematik ist komplex – und fordert, gerade in einem Land wie Deutschland, endlich eine gesetzliche Regelung.

„Von unserer Seite ist es vollkommen nachvollziehbar, dass die Ärzte sich zu einem solchen Vorgehen gezwungen sehen, um eine nicht adäquate oder gar falsche Behandlung aufgrund der Sprachbarriere oder einer nur rudimentären Kommunikation zu vermeiden“, so das Statement aus dem BDÜ zur Problematik. Denn ohne eine funktionierende Verständigung ist weder eine zuverlässige Diagnose noch eine erfolgversprechende Behandlung sichergestellt. Dass es sich hier längst nicht mehr um Einzelfälle, sondern um ein ernsthaftes und zwingend zu lösendes Problem handelt, bestätigen die seit Jahren zunehmenden Appelle aus medizinischen Verbänden und Gruppierungen. So erging beispielsweise auch beim 128. Deutsche Ärztetag im Mai 2024 ein Beschluss mit der Forderung an die Politik, „für die Sprachmittlung bei der Versorgung nichtdeutschsprachiger Patientinnen und Patienten in den Kankenhäusern, den Arztpraxen und im Ärztlichen Bereitschaftsdienst […] kostenfrei [einen] Übersetzungsdienst bereitzustellen, der außerdem medizinisch wie psychologisch versiert ist. Der […]entstehende zeitliche und sonstige Aufwand für die Verständigung muss in der Vergütung vollständig ersetzt werden.“


In rund 15 % der Haushalte in Deutschland wird kein oder vorwiegend nicht Deutsch gesprochen

Fakt ist: Nach Zahlen des statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2023 wird in 5 % der Haushalte in Deutschland gar kein Deutsch gesprochen, in weiteren 10 % vorwiegend mindestens eine andere Sprache. Bei rund 83 Millionen Einwohnern in Deutschland sind dies mehr als 12 Millionen Menschen.

Fremdsprachige Patientinnen und Patienten gehören somit längst zum Alltag in Praxen und Krankenhäusern. Mit etwas Glück kann zweisprachiges Personal für eine gewisse Verständigung sorgen – jedoch mit der Konsequenz, dass die eigentlichen Arbeiten liegen bleiben. Und der Sprachenkanon ist auch dann immer begrenzt. Ansonsten sieht die derzeitige Praxis so aus, dass man sich häufig nur mit Wortfetzen, ggf. mit Unterstützung einer App, verständigen kann – oder dass Angehörige, häufig sogar Kinder – zum Dolmetschen mitgebracht werden.

Dies alles ist in vielerlei Hinsicht problematisch.


Angehörige oder Bekannte als Dolmetscher

Das Problem beim Dolmetschen durch Angehörige bzw. Laien: Weder Ärzte und medizinisches Personal noch die Patienten selbst sind in der Regel in der jeweiligen Situation in der Lage zu beurteilen, ob die dolmetschende Person

  • über ausreichend Sprachkenntnisse im Deutschen bzw. der anderen Sprache (auch: medizinische Fachausdrücke) verfügt (und z. B. auch den Dialekt des Arztes versteht);
  • die erforderliche Dolmetschkompetenz hat, also entsprechende Strategien und Techniken erlernt hat, um das Gesagte richtig zu verstehen und angemessen zu dolmetschen,
  • mit welchem Rollenverständnis diese Person dolmetscht, wieviel eigene Meinung oder eigenes (Halb-)Wissen einfließt oder ob un-/bewusst Dinge weggelassen werden; dazu gehört auch der Mut nachzufragen, wenn etwas nicht verstanden wurde;
  • situationsbezogen angemessen handeln kann,
  • emotional nicht etwa so involviert ist, dass eine neutrale Verdolmetschung gar nicht möglich ist, etc.


Kinder als Dolmetscher

Wenn zudem – was leider nach wie vor sehr häufig vorkommt – Kinder für ihre Eltern, Nachbarn oder Bekannte dolmetschen, werden – mit Rücksicht auf das Kind – bestimmte Fragen nicht gestellt, Antworten nicht gegeben oder Dinge überhaupt nicht ausgesprochen. Wie wird eine Mutter ihrem vierzehnjährigen dolmetschenden Sohn ihre Unterleibsprobleme erläutern? Wie soll eine Zwölfjährige der Mutter oder dem Vater eine Krebsdiagnose und die erforderlichen Behandlungsalternativen in Form von Chemotherapie oder Bestrahlung dolmetschend vermitteln? Kaum vorstellbar – aber Realität. Eine solche Aufgabe überfordert Kinder, und nicht selten führt dies zu langfristigen psychischen Belastungen. Nicht umsonst stellt Kinderdolmetschen einen Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention dar .


Apps als Dolmetscher

Das Problem beim Dolmetschen durch Apps: Anwender können in der Regel nicht beurteilen,

  • ob die hinterlegte Datenbank auch (geprüftes) Fachvokabular aus dem medizinischen Bereich beinhaltet, ggf. mit Erläuterungen und Kontext, so dass je nach medizinischem Gebiet richtig entschieden werden kann. Und/oder ob am Ende nicht etwa eine KI dahinter steckt, die bekannterweise gerne – und überzeugend – "halluziniert", also Dinge erfindet – m Klartext: Ob die von der Maschine ausgespuckte Übersetzung tatsächlich „richtig“ ist;
  • ob die hinterlegte Datenbank in einer seltenen Sprache überhaupt über eine ausreichende Menge an geprüften und verlässlichen Einträgen verfügt.

Hinzu kommmt, dass die Kommunikation über eine App den eigentlichen Gesprächsfluss behindert – in einer Situation, die für Patienten bzw. deren Angehörige ohnehin mit Aufregung verbunden und häufig sehr emotional geprägt ist. Ganz zu schweigen von kulturellen Besonderheiten oder Tabus, die von technischen Lösungen nicht berücksichtigt werden.

Aufgrund des aktuellen Hypes rund um KI neigen Laien (d.h. hier alle, die sich mit diesen Technologien im Hintergrund nicht intensiver beschäftigen) dazu, die neuen Möglichkeiten der Technik zu überschätzen ­– insbesondere, weil die neueren Systeme oberflächlich gut lesbare, also scheinbar„perfekte“ Texte produzieren. Dass sich trotz sprachlich korrekter Ausdrucksweise Fehler oder gar Unsinnigkeiten darin verbergen können, kommt vielen überhaupt nicht in den Sinn, die Zuverlässigkeit der Systeme wird nicht hinterfragt, es herrscht ein geradezu blindes Technik-Vertrauen. Wenn Ärzte sich auf solche Hilfsmittel verlassen (müssen), ist dies problematisch – bei allem Verständnis für den immensen Druck, unter dem die Behandelnden stehen, um ihrem Auftrag gerecht zu werden..


Und die Lösung?

Die Lösung ist, qualifiziertes Dolmetschen im Gesundheitswesen endlich zur Kassenleistung zu machen – wie es im Grunde alle „klassischen“ Einwanderungsländer, auch die mit Englisch als Amtssprache, schon lange handhaben. Dass Deutschland inzwischen in diese Kategorie fällt, sollte nicht erst seit dem Statement „Deutschland ist ein Land mit Migrationshintergrund" von Bundespräsident Frank-Walter-Steinmeier beim Staatsbesuch im April dieses Jahres in Istanbul klar sein.


Hoher Nutzen für Patienten – und das gesamte System

Dass eine solche Kostenübernahme sowohl für alle Beteiligten als auch für das Budget im Gesundheitswesen eindeutigen Nutzen bringt – angefangen bei der Vermeidung falscher oder unwirksamer Behandlungen, z.B. durch Nicht- oder Falsch-Einnahme von Medikamenten oder Abbruch der Behandlung bis hin zur Vermeidung unnötiger Kosten, z. B. durch Mehrfach-Diagnosen –, ist in vielen internationalen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen worden. Ebenso stärkt eine solche Kostenübernahme die Gesundheitsprävention – denn Studien belegen auch, dass Vorsorgeangebote aufgrund der Sprachbarriere nicht oder deutlich seltener wahrgenommen werden. Nicht zuletzt dürfte es zu einer Entlastung der Notaufnahmen in Krankenhäusern führen – denn diese beobachten, dass vermehrt fremdsprachige Patientinnen und Patienten auch bei weniger dringlichen Anliegen bei ihnen vorsprechen, da sie dort eine höhere Wahrscheinlichkeit von fremdsprachigem Personal oder auch der Zuziehung von Dolmetschern voraussetzen bzw. vermuten.


Modell zur Umsetzung

Der BDÜ fordert daher – wie auch die Bundesärztekammer und die Bundespsychotherapeutenkammer – schon seit Jahren eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Für die praktische Umsetzung hat der Verband ein detailliertes Modell ausgearbeitet – analog zum Gebärdensprachdolmetschen, worauf Gehörlose schon seit mehr als 10 Jahren einen Rechtsanspruch haben und das als Kassenleistung abgerechnet wird. Die Finanzierung dieser Leistung darf zudem nicht über Beitragserhöhungen erfolgen, sondern muss steuerfinanziert umgesetzt werden –  denn Gesundheit ist ein Menschenrecht, dessen Wahrung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt. Die aktuelle Bundesregierung hat dies auch erkannt und in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich das Versprechen formuliert, dass „Sprachmittlung […] Bestandteil des SGB V“ werde. Passiert ist leider noch nichts.

Wegen des fehlenden Rechtsanspruchs werden aktuell qualifizierte Dolmetscher von niedergelassenen Ärzten eigentlich nie und von Krankenhäusern nur selten in Anspruch genommen. Die aktuellen Notbehelfe, dass dann eben Angehörige – nicht selten Kinder – oder andere „Laien“ die Gespräche zwischen Patienten bzw. bei Minderjährigen Erziehungsberechtigten und deren Angehörigen einerseits und Ärzten, MFA, Pflegkräften, Hebammen und Therapeuten andererseits dolmetschen oder eben im Zweifelsfall eine Übersetzungs-App verwendet wird, sind keine Lösung. Diese muss von der Politik kommen.


Relevant auch für die Gewinnung von Fachkräften

Dies auch im Hinblick darauf, dass Deutschland gerade wieder verstärkt auf die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland hinarbeitet, die je nach Branche auch nicht unbedingt Deutschkenntnisse mitbringen müssen, sofern sie Englisch beherrschen. Aber selbst hoch qualifizierte Menschen erleben es regelmäßig, dass sie in Gesprächen über medizinische Sachverhalte in Praxis oder Klinik selbst in ihrer Muttersprache nach Worten suchen oder Antworten hinterfragen müssen. Den Sachverhalt richtig auszudrücken bzw. zu verstehen, ist für das Stellen der korrekten Diagnose und den Behandlungserfolg jedoch elementar.

Qualifizierte Dolmetscher lassen sich übrigens – nicht nur nach Sprache, sondern auch nach Fachgebiet und Postleitzahlbereich – unproblematisch über die BDÜ-Online-Datenbank finden: https://suche.bdue.de

 

 

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